"Ich enthalte mich" Elegant formuliert, null Wirkung!
- Tobias Fuchs
- Aug 20
- 2 min read
Stellen wir uns eine typische Generalversammlung in einem Startup vor. Die Agenda ist prall gefüllt mit Kapitalerhöhung, ESOP und der Wahl eines neuen Verwaltungsratsmitglieds. Bei Traktandum drei meldet sich dann ein Aktionär und sagt: «Ich enthalte mich.» Sofort stellt sich die Frage, die in der Praxis immer wieder auftaucht: Gilt das jetzt wie ein Nein oder wie ein halbes Ja oder vielleicht gar nicht?
Die Antwort ist seit der Aktienrechtsrevision 2023 eindeutig. Enthaltungen gelten nicht als abgegebene Stimmen. Und dieser Punkt ist zwingendes Recht. Selbst wenn in den Statuten etwas anderes vorgesehen wäre, hätte das keine Wirkung. Enthaltungen können nicht als Nein gezählt werden, sie fallen schlicht aus der Berechnung heraus.
Am besten lässt sich das an einem Beispiel zeigen. Angenommen, es sind 100 Stimmen vertreten. Vierzig Aktionäre stimmen Ja, dreissig stimmen Nein und weitere dreissig enthalten sich. Gezählt werden nur die siebzig abgegebenen Stimmen. Damit liegt das Ergebnis bei vierzig zu dreissig und der Beschluss ist angenommen. Die Enthaltungen sind wie eine stille Begleitmusik: jeder hört sie, aber bei der Mehrheitsrechnung spielen sie keine Rolle.
Interessant wird es bei qualifizierten Beschlüssen wie Statutenänderungen oder Kapitalstrukturfragen. Dort verlangt das Gesetz nach Artikel 704 Obligationenrecht ein doppeltes Quorum, nämlich mindestens zwei Drittel der abgegebenen Stimmen und zusätzlich die Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte. Auch in diesen Fällen fallen Enthaltungen aus der Zählung heraus. Nur Ja und Nein bestimmen das Resultat.
Das ist praktisch relevant, weil Aktionäre in der Realität oft nicht klar Position beziehen möchten. Manche wollen sich nicht festlegen und hoffen, durch eine Enthaltung das Ergebnis zu beeinflussen. Genau deshalb hat der Gesetzgeber mit der Revision Klarheit geschaffen und ausdrücklich festgelegt, dass Enthaltungen keine versteckten Nein-Stimmen sind. Damit bleiben Abstimmungen transparent und verhindern, dass durch Schweigen Entscheidungen blockiert werden.
Für die nächste Generalversammlung bedeutet das: Enthaltungen zählen nicht, aber sie sollten im Protokoll trotzdem festgehalten werden. So bleibt die Transparenz gewahrt und es gibt später keine Diskussion darüber, wie das Abstimmungsergebnis zustande gekommen ist.

Comments